«Menschen am Sonntag» oder Electrola meets Spotify

Wer sich mit den Meilensteinen deutscher Filmgeschichte auseinandersetzt, kommt am Meisterwerk «Menschen am Sonntag» von Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Billy Wilder nicht vorbei. Gedreht mit komplett kamera-unerfahrenen Protagonisten, ist «Menschen am Sonntag» nicht nur eine Momentaufnahme der pulsierenden Metropole Berlin zu Beginn der 1930er Jahre, sondern auch ein früher Beleg des «Always on», nämlich der Transformation der Musik in die knappe und ersehnte Freizeit.

So finden sich die Komparsin Christl, der Weinverkäufer Wolfgang, der Taxifahrer Erwin und die Schallplattenverkäuferin Brigitte nach diversen Episoden am Ufer der Havel wieder, wo sie den Träumen aus Schellack lauschen. Das «Electrola-Ratensystem» («Nur geringe Anzahlung und 12 kleine Monatsraten», Film: 07’02) ermöglicht unlimitierten Genuss pur in freier Natur; nur schade, dass solche Träume auch zerbrechen können (Film: 55’58ff.). Der Montag darauf endet mit der Einblendung: «4 Millionen warten auf den nächsten Sonntag». Viele Sonntage später folgen Kofferradio (1954), Walkman (1979), Discman (1984), iPod (2001) und schliesslich die aktuellen Streaming-Services, welche den Sonntag als glückseligen Tag des Musikerlebnisses gänzlich überflüssig zu machen drohen.

PS: «Menschen am Sonntag» gilt als epochaler Film der «Neuen Sachlichkeit», er beeinflusste den poetischen Realismus der 1930er Jahre in Frankreich (Carné, Clair, Renoir, u.a.) und wirkte stilbildend für den italienischen Neorealismus der 1940er Jahre (Rosselini, Visconti, Fellini, De Sica, u.a.).

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