Paolo Conte: The Stars of Jazz in the Night of Fascism

Paolo Conte, Festival da Jazz, Pontresina, 28 July 2017

Paolo Conte was affected by jazz when this style of music was banned by the fascist regime. This experience has shaped the Cantautore, who will perform at the Festival da Jazz on 28 July 2017 (original article in German, published in NZZ, 27 July 2017. Copyright photo: Matthias Heyde, www.festivaldajazz.ch).

Die Sterne des Jazz in der Nacht des Faschismus

Paolo Conte wurde mit Jazz affiziert, als dieser Musikstil vom faschistischen Regime verboten worden war. Diese Erfahrung hat den Cantautore geprägt, der am 28. Juli 2017 am Festival da Jazz auftritt.

Die Vorboten des Zweiten Weltkrieges waren am Dreikönigstag 1937 deutlich spürbar. Die andalusische Provinzstadt Almería war im Bürgerkrieg von Bombern beschossen worden; der amerikanische Kongress verbot Waffenexporte nach Spanien. Gleichentags erblickte Paolo Conte das Licht der Welt, der Sohn eines Notars im piemontesischen Asti. Paolo Conte, heute längst einer der renommiertesten Cantautori Italiens, wurde früh Zeitzeuge faschistischer Repressionen – vorab gegenüber Musikern, Jazzmusikern.

Durch seinen Vater, einen begeisterten Hobbypianisten, kam er in Kontakt mit dem verbotenen musikalischen Material. Klandestin organisierte Swing-Platten übertrugen die Keime für Contes musikalische Begeisterung. Aber unerschütterliche Jazzliebhaber in Piemont wagten es damals sogar, die Musik live zu spielen. «Trotz der Polizei waren sie in der Lage, sich Aufzeichnungen oder amerikanische Musiknoten zu beschaffen», erzählte Conte später. «Sie spielten die Aufnahmen im Wohnzimmer nach. Auf diese Weise wurde ich seit meiner Kindheit mit Jazz und Amerika gefüttert.»

Jazzfan Mussolini

Wie aber war es in Italien zum Verbot des Jazz gekommen, das zeitlich mit der Aggressionspolitik der unheilvollen «Achse Berlin–Rom» einherging? Das junge faschistische Regime zeigte sich zunächst überraschend offen für neue musikalische Impulse aus Übersee. Während Hitler bereits in «Mein Kampf» den «Vormarsch der Niggermusik» verteufelt hatte, vermochte sich der «Hot Style» unter der futuristischen Prämisse «Velocità!» im faschistischen Italien zu behaupten.

Im Gegensatz zum «Führer», einem Modernitätsverweigerer, war Mussolini der Avantgarde und dem Jazz zugetan. Sein jüngster Sohn, Romano, sollte zu einem der erfolgreichsten italienischen Jazzmusiker der Nachkriegsjahre avancieren, der u. a. von Chet Baker, Lionel Hampton oder Dizzie Gillespie hoch geschätzt wurde.

Die italienische Historikerin Camilla Poesio hat gezeigt, dass das faschistische Regime bezüglich Jazz stets schwankte zwischen Verbot und Toleranz. Eine zentrale Rolle spielte der italienische Rundfunk: Die Kontrolle des Jazz oblag seit 1924 der Unione Radiofonica Italiana (URI) bzw. der faschistischen Nachfolgeorganisation Ente Italiano Audizioni Radiofoniche (EIAR). Deren Spartenprogramme sollten diverse sendepolitische Richtungswechsel erfahren.

Zunächst wurde der Jazz instrumentalisiert, um Hörer mit verführerischen Rhythmen für die faschistische Bewegung zu begeistern. 1927 zählte EIAR bereits 177 000 zahlende Mitglieder. Praktisch jeden Abend übertrug der Sender Jazz aus Tanzlokalen der angesagten Hot Spots in Turin, Mailand, Rom und Neapel. 1929 wurde noch täglich die Sendung «EIAR-Jazz» ausgestrahlt, die 1930 dann allerdings abgesetzt wurde. Das kulturpolitische Pendel schlug nun deutlich nach rechts.

Im Zuge des Abessinienkrieges von 1935/36, der trotz weitgehend wirkungslosen Sanktionen des Völkerbundes 1937 zum Austritts Italiens aus dem Gremium führte, verfügte das faschistische Regime, dass Presseerzeugnisse, in denen ausländische Künstler erwähnt würden, ausnahmslos zu übersetzen seien. So wurde aus dem 1935 in Turin frenetisch gefeierten schwarzen Trompeter Louis Armstrong unvermittelt «Luigi Braccioforte», und Benny Goodman, der amerikanische Klarinettist mit jüdischen Wurzeln, wurde der italienischen Öffentlichkeit als «Beniamino Buonomo» präsentiert.

«Was Jazz ist, bestimmen wir!» – das kann gleichsam als Motto der faschistischen Diktatur gelten, obwohl die Machthaber nicht immer stilsicher waren, auch der «Duce» nicht. Das belegt eine vom Jazzforscher Adriano Mazzoletti überlieferte Anekdote: Eines Abends kam Mussolini zu einem Konzert in Gela, Sizilien, als das Orchester ein Stück des amerikanischen Jazzpianisten Jerry Roll Morton spielte. Mussolini liess es zwar mehrfach wiederholen. Dann wandte sich Edoardo Alfieri, sein Sekretär und späterer Kulturminister, aber zu den Musikern: «Spielt einen Walzer, Seine Exzellenz wünscht einen Walzer.» Den Musikern fiel nichts anderes ein, als einen Jazz-Take im Dreivierteltakt zu spielen. «Bravo, bravo!», applaudierte der «Duce» und begann zu tanzen.

Paolo Conte, Copyright: Keystone, used by nzz.ch

Fiktion und Nostalgie

Paolo Conte war in den 1940er Jahren zu jung, um ermessen zu können, wie die Lage der italienischen Jazzfans immer prekärer wurde; es drohte ihnen wie der deutschen «Swing-Jugend» oder den Wiener «Schlurfs» «Schutzhaft» oder eine Einweisung in ein Konzentrationslager. Eine fiktionale Annäherung findet sich im Spielfilm «7/8 (Sette Ottavi)» von Stefano Landini (Soundtrack von Paolo Fresu), in dem das tragische Schicksal italienischer Jazzmusiker in Turin zwischen 1940 und 1943 erzählt wird.

Fiktion und Nostalgie sind auch prägende Konstanten in Contes musikalischem Werk, der als poetischer Beobachter der Vergangenheit stets die Liebe zur Gegenwart erweckt: «Unter den Sternen des Jazz / Aber was für eine Nacht ist vergangen . . . / Marisa, wecke mich, umarme mich / Es war ein sehr starker Traum», singt er in «Sotto le stelle del jazz».

Während sich das postfaschistische Italien in den 1950er Jahren wirtschaftlich zu erholen begann, startete Conte seine eigene Karriere – zunächst als Posaunist und Vibrafonist unter der Ägide des Bandleaders Domenico «Mingo» Chiodo. Er verdiente sein erstes Geld – dem späteren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nicht unähnlich – als Musiker auf Kreuzfahrtschiffen.

«Jazz bedeutete für mich das Gegenteil von Faschismus: viele Menschen, die gemeinsam swingen, aber jeder behält seine individuelle Stimme.»

1960 gewann er den dritten Preis am Jazzfestival Oslo. Rückblickend mass Conte diesen ersten musikalischen Erfahrungen eine kathartische Wirkung bei der Auseinandersetzung mit der italienischen Geschichte zu: «Jazz bedeutete für mich das Gegenteil von Faschismus: viele Menschen, die gemeinsam swingen, aber jeder behält seine individuelle Stimme.»

«It Don’t Mean a Thing»

Zeugnisse dieser frühen Entwicklung finden sich unterdessen auch auf dem Album «Paolo Conte Plays Jazz» (2008), das unveröffentlichte Aufnahmen aus den 1960er Jahren vereint. Querbezüge seines Songs «Bartali» (1979) zur faschistischen Epoche fanden sich 2013, als die italienische Radfahrer-Legende Gino Bartali in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem postum als «Gerechter unter den Völkern» geehrt wurde. Bartali hatte rund 800 Partisanen und Juden zum Überleben verholfen, indem er gefälschte Dokumente im Fahrradrahmen schmuggelte und seine Kurierdienste als ausgedehnte Trainingsfahrten deklarierte.

2017, mit achtzig Jahren, schliesst sich der Kreis zu den Jazzwurzeln von Paolo Conte durch das neue Album «Amazing Game», das aus unveröffentlichten Instrumentalaufnahmen besteht, welche er seit den 1990er Jahren bis heute aufgenommen hat: «It Don’t Mean a Thing (If It Ain’t Got That Swing)!»

Konzert: Pontresina, Festival da Jazz, «Rondo», 28. Juli 2017. www.festivaldajazz.ch.

Daniel C. Schmid ist Historiker und lebt in Zürich.

Source: https://www.nzz.ch/feuilleton/paolo-conte-die-sterne-des-jazz-in-der-nacht-des-faschismus-ld.1307973

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